Wir danken Herrn Dr. Bämayr sehr für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung seines Beitrages zum Hearing im Deutschen Bundestag.
BÄMAYR: Sanktionierung von Mobbing - eine überfällige Aufgabe des Gesetzgebers!
Deutscher Bundestag, Jakob-Kaiser-Haus, Raum 1.228
Dr. Argeo Bämayr
Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Arzt für Neurologie
Postfach 1364
96450 Coburg
Die Sanktionierung von Mobbing als Form der psychischen Gewalt, eine überfällige Aufgabe des Gesetzgebers!
Mobbing ist psychische Gewalt!
„Mobbing ist pure Gewalt, die jeden unabhängig von seiner prämorbiden Persönlichkeit treffen kann.“ (1, 2).
Die Europäische Kommission stuft im „Beratenden Ausschuss für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“ Mobbing ebenfalls als „psychische Gewalt“ ein; nachzulesen im Bericht „Opinion on Violence at the workplace“ und in der Dublin-Studie (7).
Darin wird psychische Gewalt wie folgt definiert:
„Absichtliche Anwendung von Macht gegen eine andere Person oder Gruppe, aus der eine Schädigung in der körperlichen, geistigen, seelischen, moralischen oder sozialen Entwicklung resultieren kann."
(Originaltext: „Psychological violence: Intentional use of power against another person or group that can result in harm to physical, mental, spiritual, moral or social development“). (7 S. 4)
Psychische Gewalt geht immer mit der willkürlichen Erzeugung einer Angst einher. Psychische Gewalt kann in Kombination mit einer ausgeübten oder angedrohten körperlichen Gewalt auftreten.
Beispiele für psychische Gewalt insbesondere gegen Frauen finden sich in der Itemliste 4 im Anhang der repräsentativen Untersuchung gegen Frauen in Deutschland des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (5).
Mobbing schädigt die Gesundheit!
Die gesundheitlichen Folgen der psychischen Gewalt lassen sich als „kumulative traumatische Belastungsstörung“ mit den beispiel-
haften Subgruppen
diagnostizieren. Ein Antragsverfahren beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zur Aufnahme dieser Diagnosen in den ICD-10 (Internationaler Code der Erkrankungen) wird zur Zeit bearbeitet, da bisher keine der vier genannten Diagnosen im ICD-10 repräsentiert wird.
Im Rahmen einer Längsschnittbetrachtung lassen sich beim Mobbingsyndrom beispielhaft vier Stadien erkennen:
Stadium1: akute Belastungsreaktion
(ICD 10 F 43.0)
Stadium2: „kumulative“ traumatische Belastungsstörung
(ICD 10: Fehlanzeige)
Stadium3: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
(ICD 10 F 43.1)
Stadium4: Andauernde Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung
(ICD 10 F 62.0)
Das Stadium1, die akute Belastungsreaktion, ist definitionsgemäß nach 4 Wochen beendet. Mehrere „akute Belastungen“ können jedoch bei gleicher Zielsetzung zum eigentlichen Mobbing-Syndrom führen und werden daher besser als Vorstufe zum „Mobbing-Syndrom“ bezeichnet, analog zur Präcancerose z.B. beim Uteruscarcinom oder bei Herzerkrankungen.
Das Stadium2, die kumulative traumatische Belastungsstörung (KTBS), ist die Folge von mehreren akuten Belastungsreaktionen des Stadium 1. Diese nach Fischer und Riedesser im Kapitel „Mobbing“ bezeichnete „kumulierende Traumatisierung“ (8) stellt den eigentlichen Beginn des „Mobbingsyndroms“ dar. Dieses weist eine Mehrzahl der im Stadium 2 beschriebenen Charakteristika auf. Einige Symptome dieses Stadiums können auch bei den übrigen Stadien des Mobbingsyndroms gefunden werden.
Das Stadium3, die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist gekennzeichnet durch die Symptomtrias: Intrusion, Vermeidung, Hyperarousal (11). Das Traumakriterium eines „objektiv schweren Ereignisses“ nach dem DSM-IV-TR (11) ist erfüllt, wenn eine Person „mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert war, die tatsäch-lichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten“.
Mobbing-Opfer leiden dabei nicht unter der „Gefahr“ eines Verlusts der körperlichen Unversehrtheit, sondern sind bereits manifest ernsthaft psychisch und/oder psychosomatisch durch den Psychoterror von Menschen verletzt worden. Im Falle einer Suizidalität ist bei Mobbing-Opfern sogar das Kriterium des drohenden Todes erfüllt.
Nachdem sich eine PTBS nicht oder nur verzögert entwickelt, wenn nach der traumatischen Exposition Umstände vorliegen, die einer raschen psychosozialen Erholung förderlich sind (12), erklärt sich das schwere Ausmaß der traumatischen Belastungsstörung von vielen Mobbing-Opfern dadurch, dass diesen durch die psychosoziale Destabilisierung diese Schutzmechanismen entzogen werden.
Das Stadium 4, die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, ist mit seinen verschiedenen Persönlichkeitsver-änderungen neben einem Suizid der Extremfall der „Mobbing-Katastrophe“. Da der Psychoterror neben der körperlichen Gewalt eine extreme Fremdbestimmung darstellt, entwickelt das Mobbing-Opfer häufig eine Phobie gegen jedwede Fremdbestimmung. Die hieraus resultierende übersteigerte Selbstbestimmtheit des Mobbing-Opfers kann dazu führen, dass dieses entweder keine andere Meinung mehr zulässt, also selbst äußerst fremdbestimmend agiert, oder sich hochgradig verletzt und misstrauisch weitestgehend von der „Menschheit“ zurückzieht.
Abhängig von der Verwundbarkeit des Mobbing-Opfers durch seine primäre Persönlichkeitsstruktur, Vorerkrankungen oder eine Behinderung und der Schwere und Häufigkeit der Mobbinghandlungen müssen nicht alle Stadien durchlaufen werden. Sie können sich überlappen und sind mit Ausnahme des 4. Stadiums meist erst nach Beendigung einer Mobbingkonstellation erfolgreich zu therapieren.
Mobbing und jegliche andere psychische Gewalt wird in Deutschland, von wenigen Ausnahmen abgesehen, staatlicherseits nicht oder nicht ausreichend sanktioniert!
Opfer von psychischer Gewalt sind nahezu rechtlos, obwohl sich gesundheitliche Schädigungen durch psychische Gewalt hinsichtlich des subjektiven Erlebens nicht von gesundheitlichen Schädigungen durch körperliche Gewalt unterscheiden.
Wie neueste Ergebnisse aus der Hirnforschung beweisen (4), führt der durch körperliche Gewalt zugefügte Schmerz zu den selben hirn-biologischen Abläufen wie durch psychische Gewalt zugefügter Schmerz. Sowohl durch körperliche als auch durch psychische Gewalt zugefügter Schmerz lässt über die Aktivierung des körpereigenen Aggressionsapparates Gewaltbereitschaft entstehen, die eine Gewalt-spirale initiiert und/oder aufrecht erhält (4). Die Folgen sind umso gravierender, je länger die Gewalteinwirkung andauert und nicht gestoppt wird. Diese hirnbiologischen Erkenntnisse werden durch die Studie von Bașoġlu (3) bestätigt, wonach „psychische Gewalt so verheerend wie körperliche Folter“ wirkt (9).
In Anbetracht der neuesten hirnbiologischen Erkenntnisse, durch eine Studie bestätigt, ist jegliche Rechtfertigung entfallen, juristisch die Folgen psychischer Gewalt anders zu bewerten als die Folgen körper-licher Gewalt. In beiden Fällen handelt es sich um Körperverletzung, die hirnbiologisch nicht unterscheidbar als „Schmerz“ empfunden wird (4). Sowohl körperliche als auch psychische Gewalt weist die selben psychi-schen Folgen auf. Neben der Entstehung einer Gewaltbereitschaft können Schädigungen bis zu einer „Posttraumatischen Belastungs-störung“ oder einer „Andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ und im Extremfall zum Tode in Form eines Suizids führen.
Wie weit die Rechtsprechung in Deutschland von einer Gleichstellung psychischer Krankheitsfolgen durch psychische Gewalt im Vergleich zur körperlichen Gewalt entfernt ist, zeigt ein Urteil des Bundessozial-gerichts (BSG) vom 7.4.2011 (6), welches in der Frankfurter Rundschau vom 8.04.2011 zitiert wird. Das BSG verwehrte die vom Landessozial-gericht (LSG) gewährte Opferrente nach dem Opferentschädigungs-gesetz (OEG) (10) bei einem weiblichen Stalking-Opfer mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und verwies das Verfahren an das LSG zurück. Eine „unmittelbare auf den Körper einwirkende Gewalthandlung“ sei Voraussetzung für OEG-Leistungen und je geringer die Kraftanwendung, desto genauer sei zu prüfen, inwiefern Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Das LSG dagegen hatte zuvor noch „gewaltlose“ Nachstellungen bei Stalking als tätlichen Angriff gewertet.
Es wäre wünschenswert, wenn sich beide Gerichte im weiteren Verfahren mit dem Umstand näher befassen würden, dass es sich bei Stalking nicht um eine gewaltlose, sondern um eine „gewaltsame Nachstellung“ handelt, nämlich in Form psychischer Gewalt. Beiden Gerichtsinstanzen sollte eigentlich bekannt sein, dass auch das Gehirn, wie alle anderen Körperteile des Menschen, ein körperliches Organ ist, auf welches psychische Gewalt einwirkt. Und es ist das durch psychische Gewalt betroffene Gehirn, welches mit psychischen Erkrankungen reagiert und/oder zu psychosomatischen organischen Erkrankungen überleitet.
Letztendlich ist es auch das Gehirn, welches selbst auf Körperverletzungen an anderen Organen stärker reagiert, als das unmittelbar betroffene Organ. Besonders deutlich wird dies bei Körperverletzungen, die keine sichtbaren Verletzungszeichen erkennen lassen und dennoch als Körperverletzung mit einem hieraus resultierenden Schmerzensgeldanspruch anerkannt werden. Beispiele hierfür sind Ohrfeigen, „Kopfnüsse“, Stockhiebe auf die Finger („Tatzen“), Vergewaltigung ohne sichtbare Gewaltspuren, Sauerstoffentzug mittels „Water-boarding“ oder Knebelung, Unterkühlung, Überhitzung und viele weitere Foltermethoden, die allesamt dazu führen können, dass über die Mitbeteiligung oder Ver-mittlung des Gehirns psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen erzeugt werden.
Es ist daher reine Willkür, bei relativ unwichtigen Organen, wie z.B. einem Stich in den Oberarm, trotz voll erhaltener Funktion juristisch eine schwere Körperverletzung zu bestätigen, während beim Gehirn, dem wichtigstes Organ des Menschen, eine Körperverletzung negiert wird, wenn es infolge von Mobbing schwerste Hirnfunktionsstörungen in Form von Depression und Angst, Schlafstörungen, Auffassungs- und Gedächtnisstörungen aufweist. Diese Willkür ist umso gravierender, als der hirnbiologische bzw. neurobiologische Nachweis (4) erbracht worden ist, dass psychische Gewalt derartige Funktionsstörungen verursacht.
Das gegenständliche Denken des Bundessozialgerichts, welches die Begriffe „Gewalt“, „Körperverletzung“ und „Opfer“ ausschließlich auf einen Körperkontakt bezieht und neurobiologische durch Studien untermauerte Kenntnisse negiert, zementiert die Zulässigkeit der psychischen Gewalt und trägt somit dazu bei, dass auch körperliche Gewalt aufrechterhalten und immer wieder, wie die Hirnforschung belegt, erneut produziert wird.
Die Aberkennung eines Opferstatus durch das BSG ist auch rechtssystematisch nicht nachvollziehbar, wenn höhere Gerichtsinstanzen aus anderen Sparten wie der Arbeitsgerichtsbarkeit längst eine Täter-Opferkonstellation im Rahmen von Mobbing bestätigen, welches - wie Stalking - ohne psychische Gewalt nicht vorstellbar ist.
Ganz davon abgesehen, dass vielfältige weitere Rechtsansprüche ausschließlich durch die Versetzung des Gehirns in einen regelwidrigen bzw. pathologischen Zustand begründet werden. Beispiele sind Beleidigungen, üble Nachrede, Nötigung, Erpressung usw. allesamt Tatbestände, die „nur“ die im Gehirn lokalisierte Psyche verletzen.
Wenn eine einmalige Beschimpfung mit einem verbalen Kraftausdruck „Depp“, „Idiot“ usw. oder die Geste des „Vogelzeigens“ eine Straftat ist, lässt sich die Straffreiheit eines systematischen Psychoterrors wie bei Mobbing mit seinen verheerenden gesund-heitlichen und sozialen Folgen nicht mehr logisch und rechts-systematisch begründen.
Auch wenn der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen psychischer Gewalt und deren psychosozialen Folgen im Rahmen eines Strafverfahrens nicht leicht zu führen ist, darf Mobbing und jegliche andere psychische Gewalt nicht weiter straflos bleiben. Andere Länder wie Frankreich und Schweden beherrschen dieses Metier. Hinter dieser fortschrittlichen und den Menschenrechten gehorchenden Gesetzgebung sollte die Bundesrepublik Deutschland nicht länger zurückstehen, wenn sie ihren Verfassungsauftrag einer Verbesserung der Volksgesundheit und ihre Pflicht, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, ernst nimmt.
Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, Mobbing und jede andere psychische Gewalt als Körperverletzung einzustufen und entsprechend zu sanktionieren!
In einer humanitär geprägten Gesellschaft resultiert unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse aus der Hirn- und Gewaltforschung (3,4) die überfällige Aufgabe des Gesetzgebers, die psychische Gewalt zu sanktionieren und den Opferstatus der von psychischer Gewalt Betroffenen anzuerkennen:
die Gleichstellung
von psychischer Gewalt mit körperlicher Gewalt,
den Tatbestand
Mobbing in das Strafgesetzbuch aufzunehmen,
die
gesundheitlichen Folgen von psychischer Gewalt (Mobbing und Stalking) strafrechtlich als Körperverletzung einzustufen,
die Opfer psychischer Gewalt ab einem definierten Schweregrad in den Personenkreis des Opferentschädigungsgesetzes aufzunehmen.
Darüber hinaus sollten Angehörige des öffentlichen Dienstes, die untergesetzliche Vorschriften mit einem strukturellen psychischen Gewaltcharakter erlassen, als Verantwortliche zivil- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn diese Vorschriften, gerichtlich festgestellt, gegen höherwertiges Recht verstoßen.
Der Abbau der vielfach staatlich installierten strukturellen psychischen Gewalt (Diktatur der Bürokratie), die als negatives Beispiel viele Menschen zur Ausübung psychischer Gewalt animiert, könnte dem Gesetzgeber und den staatlichen Institutionen wieder ermöglichen, eine positive Vorbildfunktion einzunehmen.
Die erschreckende Zunahme psychischer Erkrankungen in Deutschland, die viele Menschen in Form von Depressionen, Angst, Burnout-Syndrom usw. mit immensen Kosten bei den Krankenkassen (ambulant, stationär, Krankengeld), bei den Arbeitsämtern (Arbeitslosengeld, Hartz-IV-Leistungen) und den Rentenversicherungsträgern (Reha-Kosten, Frühberentungen) schädigt, ist ein weiterer entscheidender Grund, Mobbing und alle Arten psychischer Gewalt energisch zu sanktionieren. Dadurch könnte nicht nur das Sozialsystem sondern auch die Wirtschaft finanziell entlastet und die Welt etwas friedlicher werden.
Argeo Bämayr
Literatur
01. Bämayr A:
Mobbing,
Hilflose Helfer in Diagnostik und Therapie,
Deutsches
Ärzteblatt 98 (2001), Heft 27: A 1811-1813
02. Bämayr A: Das Mobbingsyndrom, Diagnostik, Therapie und
Begutachtung im Kontext zur in Deutschland ubiquitär
praktizierten psychischen Gewalt, Europäischer
Universitätsverlag 2012
03. Bașoġlu M, Livanou M, Crnobavić C:
Torture vs Other Cruel, Inhuman and Degraduing Treatment
Arch Gen Psychiatry.2007,64:277-285
04. Bauer J: Schmerzgrenze; Vom Ursprung alltäglicher und
globaler Gewalt, Karl Blessing Verlag, 2011
05. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von
Frauen in Deutschland, Stand November 2010, 3. Auflage
06. Bundessozialgericht: Urteil vom 07.04.2011 zur
Opferentschädigung bei Stalking, Az B 9 VG 2/10 R
07. Di Martino V, Hoel H, Cooper CL: Preventing violence and
harassment in the workplace, European Foundation for the
Improvement of Living and Working Conditions
08. Fischer G, Riedesser P:
Lehrbuch der Psychotraumatologie. München, Basel
1998; Reinhard-Verlag
09. Georgescu V: Psychische Gewalt so verheerend wie
körperliche Folter, Spiegel Online, 6.3.2007
10. Opferentschädigungsgesetz (OEG)
11. Saß H, Wittchen,H, Zaudig M,
Diagnostisches
u Statistisches Manual Psychischer
Störungen, DSM-IV, Göttingen 1996, Hogrefe
12. Sonnenmoser M: "Psychotraumatologie":
Entwicklungsland in der Forschung; Deutsches Ärzteblatt
2003, PP 2: 362 (Heft 8)
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